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Perspektiven nach dem Nein zum CO2-Gesetz

Beim 5. Sommerworkshop der Konferenz der Gebäudetechnik-Verbände (KGTV) vom 26. August in Emmen waren drei Hauptthemen traktandiert, darunter die Bildungsoffensive des Bundesamts für Energie im Gebäudesektor und die Aerosolkonzentration in Innenräumen. Im Vordergrund standen jedoch eine Nachbetrachtung über die abgelehnte Volksabstimmung zum revidierten CO2-Gesetz und die politischen Auswegszenarien, welche Gesprächsstoff lieferten für intensive Diskussionen. 

Der 5. Sommerworkshop der KGTV fand dieses Jahr in Rathausen (Emmen, LU) statt, am Hauptsitz der Centralschweizerischen Kraftwerke CKW, Gastgeber der Veranstaltung. Durch die hybride Tagung führte KGTV-Präsidentin Franziska Ryser (Nationalrätin, Grüne), welche in ihrer Begrüssungsrede in die Schwerpunktthemen einführte. Zunächst trat Ryser auf die im Juni abgelehnte Volksabstimmung zum revidierten CO2-Gesetz ein: «Die Pläne zur Erreichung von Netto-Null wurden fürs Erste über den Haufen geworfen. Was jetzt bleibt, ist die Frage: Wie geht es nun weiter?» Mit diesen Worten öffnete sie die Debatte. Ryser sprach von einer verpassten Chance: «Die Schweiz hätte sich mit einer fortschrittlichen Gesetzgebung zu jenen Ländern gesellen können, welche die Aufgabe ernst nehmen. Sie hätte sich dazu verpflichtet und bekannt, die Emissionsreduktionen anzugehen.» Es sei ein Gesetz mit einer breiten Palette an Massnahmen in vielen verschiedenen Sektoren erarbeitet worden, das zudem bei fast allen Parteien, Verbänden und Wirtschaftsorganisationen breit abgestützt gewesen sei. Auch die KGTV habe sich in der Abstimmungskampagne für das Gesetz eingesetzt. 

Unterschiedliche Gründe für das Volksnein 

In vier Gruppen – wovon eine virtuell – diskutierten die Teilnehmenden über die Ursachen für das Nein. Geleitet wurden die Workshops von den KGTV-Vorständen Martin W. Bänninger (Schweizerischer Verein Luft- und Wasserhygiene), Iris Grob (Gruppe der Schweizerischen Gebäudetechnik-Industrie), Stephan Peterhans (Fachvereinigung Wärmepumpen Schweiz) und Gian A. Bisatz (Swiss Engineering). Die vier Moderatoren präsentierten anschliessend im Plenum die Ergebnisse aus den Diskussionen. Ein mehrfach genannter Grund für die Ablehnung war das fehlende Herzblut bei den Unterstützerinnen und Unterstützern des Gesetzes. Auch auf den Stadt-Land-Gegensatz wurde hingewiesen. Wiederholt erwähnt wurde zudem die «starke Angstkampagne» der Gegner, die sich auf das Kostenargument gestützt habe. Man hätte das Gegenargument aufgreifen und ins Positive wenden müssen, fasste Gian A. Bisatz zusammen. Selbstkritische Töne schlug Iris Grob an: «Wir Befürworter waren anfänglich sehr zuversichtlich. Vermutlich fingen wir zu spät damit an, Gegensteuer zu geben und die Argumente der Gegenseite zu entkräften. Ausserdem hatten wir auf Befürworterseite keine Identifikationsfigur mit Ausstrahlung und Persönlichkeit, welche die Leute abgeholt und motiviert hätte.» Als Schlüsselfaktor für das Nein betrachtet sie das Engagement des Hauseigentümerverbandes gegen das Gesetz. Schliesslich wurde auch auf die mangelhafte Aufklärung der Bevölkerung hingewiesen. Wie die Finanzmittel aus der CO2-Abgabe eingesetzt worden wären, sei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zu wenig klar erklärt worden. Das Volk sei zu wenig für die Thematik sensibilisiert worden, kritisierte seinerseits Stephan Peterhans. 

Mögliche Auswegszenarien 

Die Workshops befassten sich jedoch nicht nur mit einer Nachbetrachtung zum Urnengang, sondern auch mit Lösungsansätzen. So müssten etwa Stakeholder und Immobilienmakler stärker eingebunden werden. Ebenso bei den Investitionen und Finanzierungsmodellen könne man ansetzen. Ferner müssten die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) konsequenter umgesetzt werden. Und auch die Branche könne etwas tun, etwa beim Aufzeigen von Best-Practice-Lösungen für energetische Sanierungen. Bereits vor den Gruppendiskussionen hatte Präsidentin Ryser in ihrem Referat eine Gesamtschau über mögliche Auswegszenarien auf der politischen Ebene skizziert. Trotz des negativen Ausgangs der Volksabstimmung stimmten sie die Nachwahlbefragungen zuversichtlich. Denn diese hätten gezeigt, dass es für den Klimaschutz in der Bevölkerung eine breite Unterstützung gebe, selbst bei den Gegnern des CO2-Gesetzes. Es sei zwar klar, dass man sich jetzt an einer Wegbiegung befinde, so Ryser. Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, könnten aber trotzdem verschiedene Wege beschritten werden. 

Auf sechs mögliche Massnahmen zur Zielerreichung ging die Präsidentin ein. Erstens könne man das aktuelle CO2-Gesetz verlängern, ebenso die individuellen Zielvereinbarungen der Unternehmen. Diese Massnahme sei parlamentarisch bereits aufgegleist und werde in Form eines Übergangsgesetzes für die nächsten drei Jahre voraussichtlich im Dezember im Parlament verabschiedet. Zweitens könnten punktuelle Verbesserungen des alten Gesetzes umgesetzt werden, die bereits über einen breiten Konsens verfügten. Drittens könnten sich Branchen- und Wirtschaftsverbände, Kantone und Städte, Unternehmen und Klimaschutzorganisationen zusammentun, um eine «Allianz der Willigen» zu bilden, welche die Ziele unabhängig vom Gesetzgeber voranbringen könnten, wie es auch in den Vereinigten Staaten während der Präsidentschaft von Donald Trump funktioniert habe. Viertens habe man mit der Neuauflage der Gletscherinitiative ein politisches Instrument in der Hand, mit dem man die Zielvorgaben verfassungsrechtlich verankern könne. Fünftens könnten mit der Revision des Energie- und Stromversorgungsgesetzes Fördermassnahmen zum Ausbau der Erneuerbaren nach 2030 oder die Strommarktöffnung für kleine Haushalte beschlossen werden. Und sechstens wäre es möglich, mit dem von der Europäischen Union angepeilten System des Carbon Border Adjustment Mechanism einen Grenzausgleich für CO2-intensive Güter und Dienstleistungen einzuführen, um die importierten Emissionen zu senken. «Das wäre ein bunter Strauss möglicher Wege, wie es nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes weitergehen könnte», so Ryser. 

Roadmap des Bundesamts für Energie 

An der Tagung war auch das Bundesamt für Energie (BFE) mit zwei Exponentinnen vertreten. Während Fachspezialistin Stefanie Bertschi auf das Veranstaltungsprogramm von EnergieSchweiz an der nächsten Swissbau im Januar 2022 einging, stellte Kornelia Hässig, Leiterin des Diensts Aus- und Weiterbildung, die Bildungsoffensive eCH/BFE vor. Das Ziel besteht darin, gemeinsam mit der Branche zielführende Massnahmen zu erarbeiten. Es handelt sich dabei um einen breit abgestützten Stakeholder-Prozess, bei dem in Zusammenarbeit mit Ecoplan an drei runden Tischen Hauptziele, Handlungsfelder und Schwerpunkte für eine Roadmap erarbeitet worden sind, die Mitte September in die Vernehmlassung an die Stakeholder gehen wird. Erste Projekte werden im Oktober starten. Und der offizielle Lancierungsevent findet an der Swissbau statt. Mit der Offensive habe das Bundesamt in der Branche offene Türen eingerannt, sagte Hässig. Im Ergebnis hat das Konsultativverfahren gezeigt, dass die Branchenrahmenbedingungen zur Erreichung der Zielsetzungen für 2050 nicht optimal sind. Der latente Fachkräftemangel bildet dabei die Hauptherausforderung. Vier Handlungsfelder stünden im Vordergrund, so Hässig: die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für die Ausbildung, die Befähigung bestehender Fachkräfte, die Steigerung der Attraktivität und des Images der Branche sowie die Stärkung der branchenübergreifenden Zusammenarbeit. 

CO2-Konzentration als Indikator für Virenbelastung 

Die KGTV thematisierte am Sommerworkshop auch die Pandemie. Mit Politiker Martin Bäumle (Nationalrat, GLP) wurde via Live-Stream ein Experte zugeschaltet, der sich seit Jahren mit der Aerosolproblematik aus wissenschaftlicher und technischer Sicht beschäftigt. Zurzeit betreut Bäumle in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und Branchenpartnern die Projekte «Cube» und «Frische Luft». Ab Mitte September wird das von ihm mitentwickelte Messgerät Condair-Cube lieferbar sein. Es misst die CO2-Konzentration in der Luft. CO2 sei ein guter Tracer für Aerosole, die Korrelation beider Messgrössen sei sehr gut, so Bäumle. «Bei einer hohen CO2-Konzentration ist die Aerosolkonzentration mutmasslich ebenfalls hoch, womit das Risiko einer Ansteckung durch eine infizierte Person im selben Raum erhöht ist.» Im Gegensatz zur Tröpfcheninfektion, die allgemein bekannt sei, werde die Übertragung von Viren via Aerosole in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. Dabei seien Aerosole ein ganz grosses Problem, wenn sie mit Viren beladen seien, warnte Bäumle. Denn sie könnten weiter und länger in der Luft schweben und bedeuteten somit auch Ansteckungsgefahr für Menschen, die weit weg vom Emittenten entfernt seien. In Bezug auf die Gebäudetechnik empfahl der Nationalrat, die Einhaltung gewisser Richtwerte anhand von Messungen zu beachten. Die CO2-Konzentration in der Aussenluft beträgt heute durchschnittlich 400 ppm. Bei Konzentrationen von bis zu 500 ppm sei in Innenräumen eine Belüftung nicht zwingend erforderlich. Anders aber sei es bei höheren Werten. Besonders bei Konzentrationen von über 1200 ppm müsse zwingend gelüftet werden. Und so lautete sein Fazit: «Messen und Lüften – damit haben wir eine wirksame Waffe gegen Covid-19.» 

Forderung nach schlankeren Bewilligungsverfahren 

Die Vortragsreihe eröffnet hatte am Vormittag Gastgeber Martin Schwab, CEO der CKW. Die CKW sind ein teilstaatlicher Energieversorger mit einer 127-jährigen Betriebsgeschichte. Ihre Ursprünge liegen im Elektrizitätswerk Rathausen unweit des Hauptsitzes. Die CKW-Gruppe ist mit rund 2000 Mitarbeitenden ein bedeutender Arbeitgeber in der Innerschweiz und mit ihren 360 Lernenden sogar die grösste Lehrlingsausbildungsstätte des Kantons Luzern. Alle ihre Energieerzeugungsanlagen zusammen produzieren im Jahr rund 5,8 Millionen kWh, was beinahe 10 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs der Schweiz entspricht. In den letzten Jahren hat das Unternehmen zweistellige Wachstumsraten verzeichnet, vor allem dank des boomenden Solargeschäfts. Das Wachstum könnte sogar noch grösser ausfallen, wenn Rohstoff- und Fachkräftemangel nicht wären. Die CKW haben sich ambitionierte Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele gesetzt. Bis 2025 will die Gruppe das Commitment von Netto-Null erreichen. Da die Stromproduktion bereits nahezu CO2-frei ist, soll dies über die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte geschehen. In den nächsten Jahren soll die Umstellung auf reine Elektromodelle erfolgen, versprach Schwab, der auch auf die laufenden Ausbauprojekte einging. 

Drei Kraftwerke sollen gebaut werden: an der Waldemme und im Urner Meiental (Kleinwasserkraft) sowie auf dem Lindenberg (Windkraft). In diesem Zusammenhang wies der Unternehmenschef auf die langwierigen Bewilligungsverfahren hin. «Wir beobachten eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem gesellschaftlichen Wunsch nach klimafreundlichen Energien und der tatsächlichen Bereitschaft, Erneuerbare Energien auch zuzulassen», kritisierte er. Bei mehreren der laufenden Projekte seien die CKW auf erbitterten Widerstand seitens der Naturschutzorganisationen gestossen, obwohl ökologische Ausgleichsmassnahmen geplant und umfassende Bürgerpartizipationsverfahren durchgeführt worden seien. Zur Deckung des Stromeigenbedarfs bedürfe es einer massiven Produktionssteigerung bei der Wasser-, Wind- und Solarkraft. «Das werden wir aber nicht schaffen, wenn wir jedes Mal ein zehnjähriges Bewilligungsverfahren durchlaufen und an zig runden Tischen teilnehmen müssen, bevor wir eine Wasserturbine einsetzen können», gab Schwab zu bedenken. 

Text: Antonio Suárez