Telematiker wird zum Gebäudeinformatiker
Zwischen Gebäudetechnik, Elektroinstallation und Informatik entsteht der neue Beruf des «Gebäudeinformatikers». Getragen wird das Reformprojekt «Berufsentwicklung Gebäudeinformatik» (BeGIN) von ICT-Berufsbildung Schweiz und dem KGTV-Mitgliedverband EIT.swiss. Ab Sommer 2021 werden die ersten Bildungsgänge in drei Fachdisziplinen starten. Der Telematiker wird neu zum «Gebäudeinformatiker EFZ mit Fachrichtung Kommunikation und Multimedia».
Auf Initiative des Verbands Schweizerischer Elektro-Installationsfirmen EIT.swiss – ein Kollektivmitglied der Konferenz der Gebäudetechnik-Verbände (KGTV) – und in Zusammenarbeit mit ICT-Berufsbildung Schweiz – eine nationale Organisation der Arbeitswelt (OdA) – werden derzeit die Berufsbilder im Bereich der Gebäudeinformatik ausgearbeitet. Dabei wird die Telematiker-Ausbildung komplett überarbeitet. Künftige Absolventinnen und Absolventen heissen neu «Gebäudeinformatiker/in mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) – Fachrichtung Kommunikation und Multimedia».
Die vierjährige Grundbildung wird zudem um die beiden gänzlich neuen Fachrichtungen «Gebäudeautomation» und «Planung Gebäudeinformatik» erweitert. Gemäss einem Entwurfspapier zum Qualifikationsprofil gehört die Koordination und Installation von Systemen in den Bereichen Gebäudeautomation, Kommunikation und Multimedia (GKMSysteme) einschliesslich der entsprechenden Geräte, Komponenten und Netzwerke zu den Grundkompetenzen des neuen Berufsbildes. Gebäudeinformatiker stellen ausserdem die Verbindung dieser Systeme zu übergeordneten Managementsystemen sicher und gewährleisten mit ihrem systemübergreifenden Know-how die Integration der Verbindungsstellen in eine funktionierende technische Infrastruktur.
Ausweitung der Kompetenzen
Die Bildungsreform erfolgt im Zuge der alle fünf Jahre anstehenden Überprüfung der Berufsbilder. Sie ist aber auch Ausdruck der voranschreitenden Digitalisierung. Ziel der Reform ist der Ausbau der Kompetenzen, wobei die Basis des fachrichtungsübergreifenden Grundwissens umfassende Kenntnisse in der Netzwerktechnik sowie im Bereich der ITSicherheit bilden. Vorrangige Nutzniesser des neuen Berufsbildes werden einerseits die Installationsfirmen sein, andererseits die Planungs- und Ingenieurbüros.
Zuständig für die Erarbeitung der Bildungspläne und der Bildungsverordnung seitens EIT.swiss ist Berufsbildungskommissionsmitglied Daniel Schlienger. «Unser Herzensanliegen ist es, dass wir einen Beruf gestalten, der den Branchenvorstellungen entspricht», umreisst der Telematik-Dozent und Bildungsfachmann die Zielvorgabe. «Im Rückblick auf die eidgenössischen Wahlen ist derzeit die Steigerung der Energieeffizienz in aller Munde. Und hier geht es vor allem darum, die Gebäude intelligent miteinander zu vernetzen, damit die Energie, die erzeugt wird, auch intelligent genutzt wird. Die intelligente Steuerung der Gebäude ist ein sehr wichtiger Aspekt, aber auch die Vernetzung der verschiedenen Gewerke innerhalb der Gebäude.»
Antwort auf Marktbedürfnisse
Das neue Berufsbild entspricht einem Marktbedürfnis, wie EIT.swiss-Direktor Simon Hämmerli unterstreicht: «Wir stellen am Markt fest, dass die verschiedenen Gewerke Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektro konvergieren. Dazu kommen Effizienz, Photovoltaik und Elektromobilität.» Geschäftsleitungsmitglied Hämmerli ist bei EIT.swiss für die Verbandsstrategie und die operativen Tätigkeiten zuständig, ausserdem ist er im Vorstand der KGTV. Um die Ausbildung mit der Energiestrategie 2050 kompatibel zu machen, komme man um einen koordinierten Approach zur Integration dieser verschiedenen Gewerke nicht herum. Und hier komme die neue Berufsgattung des Gebäudeinformatikers zum Tragen, so Hämmerli.
Zwar hätten die Mitgliederfirmen von EIT.swiss bereits gewisse Erfahrungswerte bei der Vermittlung neuer Bildungsinhalte sammeln können. Allerdings geschehe dies noch nicht berufsbildungsbasiert, schränkt Hämmerli ein. «Es wird folglich als Manko betrachtet, dass es niemanden gibt, der die Gebäudeinformatik von der Pike auf gelernt hat.» Innerhalb des Verbands habe man festgestellt, dass es für die verschiedenen Techniken und Gewerke einen Integrator brauche. «Er würde integral betrachten, was miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt und geregelt wird, damit das Gebäude als solches funktioniert. Darin besteht sein Auftrag», so Hämmerli. «Der Markt braucht einen qualifizierten Profi, der die Gebäudetechnik integral betrachtet. Dieser Integrator fehlte bisher. Diese Lücke schliessen wir jetzt mit dem Gebäudeinformatiker.»
Anspruchsvolle Grundbildung
«Weil der Bildungsgang relativ stark mit IT-Bildungsinhalten durchsetzt ist, sind wir eine Zusammenarbeit mit ICT-Berufsbildung Schweiz eingegangen, um die ICT-Kompetenz dort abzuholen. Denn die Ausbildung ist intellektuell relativ anspruchsvoll», ergänzt Hämmerli. «Der Gebäudeinformatiker wird nicht primär handwerklich tätig sein, sondern in erster Linie konfigurieren, programmieren und integrieren.» Weil der Beruf weniger handwerklich ausgerichtet sei, werde er auch attraktiver für Frauen.
Dass es sich um eine anspruchsvolle Ausbildung handelt, weiss auch Reformprojektleiter Schlienger. Der neue Beruf entspreche dem obersten Sekundarschulniveau. Und solche Schulabgänger gelte es zu rekrutieren. Darin sieht der Bildungsexperte eine der grössten Herausforderungen. Denn genügend geeignete junge Leute zu gewinnen, sei bereits bei den heutigen Telematiker-Lehrstellen nicht einfach. Derzeit registriere man schweizweit jährlich rund 60 Telematiker-Lehrabgänger, in guten Jahren seien es etwa 100. Rund ein Drittel von ihnen gehe der Branche abhanden. Für die restlichen zwei Drittel sei der Arbeitsmarkt sehr gut. Die meisten blieben den Lehrbetrieben in den ersten Jahren nach dem Lehrabschluss erhalten.
Mehrwert für die Branche
Schlienger ist ausgebildeter Elektroinstallateur mit Zusatzausbildungen in den Bereichen Telekommunikation, Informatik und Gebäudeautomation. Parallel dazu hat er didaktische Weiterbildungskurse absolviert und ist mittlerweile schon seit zwanzig Jahren im Bildungsbereich tätig, unter anderem als Lehrbeauftragter am Elektro-Ausbildungszentrum Zentralschweiz (EAZ). Auf Ende des Schuljahres 2018 hat er sein Mandat bei den überbetrieblichen Kursen (üK) abgelegt und widmet sich seither im Vollmandat der Bildungsreform. Ab Januar 2020 wird er eine Hundertprozentanstellung bei EIT.swiss übernehmen und den Reformprozess als Projektleiter zu einem Abschluss führen. Insgesamt beteiligen sich rund 30 Fachleute aus der Branche und dem Bildungssektor an der Reform. Nach der Fertigstellung des Bildungsplans geht dieser in die interne Vernehmlassung. Und nach dessen Annahme wird das Ticket beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zur Totalrevision des Telematikers eröffnet.
Im kommenden Halbjahr wird es darum gehen, in den Sekundarschulen und Berufsberatungsstellen, aber auch auf Bildungsmessen auf den neuen Beruf aufmerksam zu machen. Bereits nächsten August sollen die ersten Lehrverhältnisse unterschrieben werden. Die grösste Herausforderung für den Lehrstart wird sein, genügend Ausbildungsbetriebe zu finden. Schlienger ist sehr zuversichtlich, dass das klappen wird. Schliesslich sei der Beruf ein Desiderat der Branche. Ausgebildete Fachkräfte in der Gebäudeinformatik würden nach Etablierung der neuen Berufsgattung einen grossen Mehrwert für den Sektor generieren, besonders in der Gebäudeautomation, ist Schlienger überzeugt. Allein durch die Grundbildung werde das Firmengeschäft Impulse erhalten und den Elektroinstallationsfirmen einen Markt öffnen, um die Vernetzung der Gebäude voranzutreiben.
Zukunftstauglich dank modularem Aufbau
Um dem Wandel auch in Zukunft gewachsen zu sein, sind die neuen Bildungsgänge flexibel aufgebaut. «Wir entwickeln eine Grundbildung für die Zukunft», sagt Schlienger. «Deshalb bauen wir den Bildungsgang modular auf, damit wir einfacher auf technologische Veränderungen reagieren können und das Berufsbild immer aktuell bleibt.» Die Ausbildung beruht auf dem Modulbaukasten, den ICT-Berufsbildung Schweiz bereits für deren Berufe etabliert hat. Im Moment rechnet Schlienger mit ungefähr 200 Lernenden pro Jahr in allen drei Fachrichtungen. Wie die Zahlen diesbezüglich aussehen werden, hängt letztlich von der internen Vernehmlassung innerhalb der Branche ab.
Auch EIT.swiss-Direktor Simon Hämmerli ist überzeugt davon, dass der Gebäudeinformatiker einen Branchenbedarf abdecken wird. Vor allem Elektroplanungsfirmen dürften ein Interesse daran haben, neue Lernende in diesem Berufsfeld auszubilden. Von der integralen Betrachtung der Gebäudetechnik erhofft er sich positive Auswirkungen. Die neue Fachkraft könnte überdies einen Beitrag zur Bekämpfung des eklatanten Mangels an qualifizierten Technikern leisten. «Der Gebäudeinformatiker wird der erste Fachtechniker sein, der die Gebäudetechnik integral betrachten und die notwendige Vernetzung der unterschiedlichen Gewerke sicherstellen wird», betont Hämmerli. «Und damit wird der Beruf die Energiestrategie 2050 bzw. deren Umsetzung positiv beeinflussen. Mit dem neuen Beruf wird es ausserdem möglich sein, verschiedene Themen wie Photovoltaik, Elektromobilität, Eigenstromspeicherung, aber auch die Programmierung und die Ausgestaltung dieser konkreten Projekte grundlegend zu steuern.»